Amy & Ich
An einem kalten Dezembertag im Jahr 2007 kam ich, wie jede Woche, zu meiner Reitstunde in den Stall. Dort erwartete mich eine Überraschung: Ein neues Pferd, ein Fohlen, war eingezogen. Die Stute meiner Reitlehrerin hatte im Sommer ein Fohlen bekommen, und nun hatte sie ein zweites als Spielgefährtin gekauft. Und da stand sie: Amy.
In den ersten Jahren durften wir mit den Fohlen arbeiten. Wir übten das Putzen, Hufe auskratzen und gingen mit ihnen spazieren. Beim Spazierengehen wollten jedoch immer alle Sunny nehmen, weil Amy eher mit uns spazieren ging, als umgekehrt. So blieb Amy oft mir überlassen.
Ende 2008 wurde meine Reitbeteiligung Nova verkauft. Ich war am Boden zerstört. Als sie abgeholt wurde, sagte meine Reitlehrerin tröstend zu mir, dass ich nicht traurig sein soll – schließlich hätte ich ja noch ihr Pferd … und „die kleine Dicknase“. Ja, meine Tiere haben immer Spitznamen. Doch die kleine Dicknase war damals erst 1 ½ Jahre alt, und diese Worte konnten meinen Schmerz nicht lindern. Rückblickend bedeuten sie mir aber viel.
Nachdem Nova weg war, ritt ich das Pferd meiner Reitlehrerin oder Schulpferde. Die Zeit verging, und aus der kleinen Dicknase wurde eine große. 2010 machte ich mein Abitur, was mir viel Zeit gab, mich intensiver mit Amy zu beschäftigen. Sie kannte bereits Sattel und Trense, das Longieren und die Grundlagen des Jungpferdetrainings – und so kam der große Tag.
Das erste Mal auf Amys Rücken zu sitzen, auch wenn es nur für eine Minute war, war ein unbeschreibliches Gefühl. Sie stand geduldig da, mit allen Beinen fest auf dem Boden. Damals dachte ich noch: Schade, dass niemand filmt oder Fotos macht – aber wozu auch? Irgendwann nimmt mir dieses Pferd sowieso wieder jemand weg.
Amy lernte schnell und ich kam fünf Tage die Woche in den Stall, um sie zu putzen, mit ihr spazieren zu gehen, sie zu longieren und auf ihr zu reiten. Ich wollte einfach jeden Tag bei ihr sein, auch wenn es nur war, um ihr Fell zu streicheln. Aus dem kleinen Fohlen wurde ein elegantes Reitpferd.
Nachdem Amy die Grundlagen beherrschte und wir sie gemeinsam eingeritten hatten, war sie bereit, Schulpferd zu werden. Ab diesem Moment konnte ich nicht mehr kommen, wann ich wollte, weil andere sie ritten. Ich hörte Geschichten wie: „XY ist gestern von Amy gefallen, weil sie nachgegurtet hat.“ Oft kam ich in den Stall und wollte etwas mit ihr unternehmen, doch sie war bereits von jemand anderem bewegt worden. Meine Welt brach zusammen. Ich hatte so viel mit ihr erarbeitet und mich in dieses Pony verliebt. Ich wollte sie nicht teilen und schon gar nicht als Schulpferd sehen. Da wurde mir klar: Ich hatte mich wirklich in Amy verliebt.
Meine Eltern hatten nichts mit dem Reitsport zu tun, und ein eigenes Pferd war für sie undenkbar. Zu Beginn meiner Ausbildung richtete ich ein „Amy-Konto“ ein, mit dem Plan, sie irgendwann nach meiner Ausbildung zu kaufen. Doch es kam anders. Ich wollte, dass Amy mir gehört – nicht irgendwann, sondern jetzt!
Lange dachte ich, meine Eltern wären das größte Hindernis, doch nach einigen Gesprächen stimmten sie zu. Ich durfte mir von meinem eigenen Geld ein Pferd kaufen. Das klingt vielleicht merkwürdig, schließlich war ich volljährig. Aber ohne den Rückhalt meiner Eltern hätte ich es nicht gewagt. Mit einem „Mach doch, was du nicht lassen kannst“ im Rücken, musste ich mich der schlimmsten Situation stellen: Ich musste meine Reitlehrerin fragen.
Tagelang nahm ich mir fest vor, sie zu fragen. Aber warum sollte sie Amy verkaufen? Sie hatte sie von klein auf durchgefüttert, und jetzt konnte Amy endlich im Unterricht Geld verdienen. Diese Gedanken ließen mich zögern. Die Angst vor einer negativen Antwort war zu groß. Jedes Mal, wenn ich den Mund öffnete, schien es der falsche Moment, und so ließ ich es bleiben. Manchmal frage ich mich, was sie wohl von mir dachte, als ich so oft vor ihr stand und dann doch weglief.
Und dann kam der Tag. Ein Mittwoch. Ich traute mich, sie zu fragen. Keine zwei Sätze brachte ich heraus, bevor ich in Tränen ausbrach – aus Angst vor der Antwort. Den Blick, den sie mir daraufhin zuwarf, werde ich nie vergessen. Nein, sie hatte eigentlich nicht vor, Amy zu verkaufen. Nachdem ich mich um Kopf und Kragen geredet hatte, einigten wir uns darauf, dass sie darüber nachdenken würde.
Zwei grausam lange Tage später, am Samstag, kam ich wieder in den Stall. Auf dem Weg dorthin fühlte ich mich, als ginge ich zu einer Hinrichtung. Sprechen konnte ich nicht, ich konnte nur erwartungsvoll starren. Und dann sprach sie: Einige Sätze, die ich zwar hörte, aber erst später wirklich verstand. Wir umarmten uns. Amy würde mein Pferd werden!